Ein Auszug aus dem Büchlein von Wilhelm und Agnes Perthes
"Aus der Franzosenzeit in Hamburg"
H A M B U R G I S C H E
HAUSBIBLIOTHEK
HERAUSGEGEBEN
IM AUFTRAGE
DER GESELLSCHAFT
HAMBURGISCHER
KUNSTFREUNDE, DER
PATRIOTISCHEN
GESELLSCHAFT
UND DER
LEHRERVEREINIGUNG
FÜR DIE PFLEGE DER
KÜNSTLERISCHEN
BILDUNG
HAMBURG 1917 ALFRED JANSSEN
AUS DER FRANZOSEN
ZEIT IN HAMBURG
ERLEBNISSE
VON
AGNES PERTHES UND
WILHELM PERTHES
6. BIS 8. TAUSEND
VORWORT
Die Aufzeichnungen meiner Urgroßeltern sind nicht für die Öffentlichkeit
bestimmt gewesen. Den
Aufzeichnungen von
Wilhelm Perthes liegen offenbar Tagebuchnotizen zugrunde, die
er dann etwa 1864 in zusammenhängender
Erzählung bearbeitet hat. Die
Erinnerungen von Agnes
Perthes sind ohne besondere vorhergehende Aufzeichnungen im Jahre 1864 geschrieben.
Die Aufgabe des Herausgebers war es, die
teilweise ungenau angegebenen Daten und Namen
zu berichtigen und das Ganze durch Streichungen und Umstellungen,
an einigen Stellen auch durch Ergänzung aus anderen
Aufzeichnungen von Agnes Perthes einheitlich zu gestalten.
Einige
kurze Angaben über die Personen werden von
Interesse sein.
Wilhelm Perthes
(1793-1853) war der Sohn des Buchhändlers Johann Georg Justus Perthes, des Begründers
des großen kartographischen Verlages von Justus
Perthes in Gotha, den er nach dem Tode seines Vaters 1816 übernahm und zuerst zu rechter Blüte brachte.
Sein Vater war ein
Vetter des Großvaters von Agnes
Perthes.
Agnes Marie Perthes (1798-1868) war die älteste
Tochter
des bekannten Buchhändlers Friedrich Christoph Perthes, aus dessen Ehe mit Karoline Ilsabe Claudius,
einer Tochter des Wandsbeker Boten Matthias Claudius. Ihr
Vater, ein begeisterter deutscher und im besonderen hanseatischer Patriot, war während der Einverleibung Hamburgs
in das französische Kaiserreich und während der Befreiungskriege unermüdlich für die deutsche Sache tätig und
darum den französischen Behörden besonders
Die in diesem Buche vorkommenden Kinder
--
er hat
später aus einer zweiten Ehe noch weitere vier Kinder gehabt
- sind: Agnes, die Verfasserin des
zweiten Teiles ,Matthias, der später Pfarrer in Moorburg wurde, Luise, später
verheiratete Agricola, Mathilde, später verheiratete Becker,
Klemens, der Professor an der juristischen Fakultät in Bonn wurde,
Eleonore, später verheiratete Madelung, und Andreas, der den Verlag seines
Vaters übernahm.
Über die
Schicksale von Friedrich Perthes im besonderen gibt das dreibändige Buch seines
Sohnes Klemens: Friedrich Perthes' Leben, nähere
Auskunft.
Das Perthessche Haus lag Jungfernstieg
22 in der Nähe
der Großen Bleichen, es ist 1842
bei dem großen
Brande durch das Feuer zerstört worden.
Dr. O. Mathies
ERLEBNISSE
VON WILHELM PERTHES
Am
24. Februar 1813 ging
die in Hamburg gegen die Franzosenherrschaft
bestehende Gärung in offenen Aufruhr
über. Die Douane am Altonaer Tor
wurde gestürmt, wobei mehrere
Douaniers und Bürger ums Leben kamen, und als im Hafen eine Abteilung der aus Bürgersöhnen
gebildeten Präfekturgarde, die
eigentlich nur innerhalb
des Elbdepartements verwendet werden sollte, nach
Bremen zur großen Armee eingeschifft werden sollte,
verhinderte das Volk dies mit Gewalt. Die französischen Hoheitszeichen, die kaiserlichen Adler, wurden herabgerissen,
der Einhalt gebietende Maire Abendroth durch
Steinwürfe verwundet, und das Haus eines besonders
verhaßten Polizeikommissars demoliert. Um weitere Ausschreitungen
des Pöbels, insbesondere Plünderungen zu verhüten, wurde die alte Bürgergarde
zusammengetrommelt. Ihr schlossen Mauke
und ich uns an und standen des Nachts Schildwache.
Man
ward inne, daß die schwache französische Besatzung von Hamburg die
Unruhe, welche sich des Volkes bemächtigt hatte, nicht lange im Zaum halten könnte.
Von der Zeit an wurden Waffen aller Art, wie man sie eben
haben konnte, heimlich angeschafft. Ein
Hauptdepot war in Friedrich Perthes' Haus. In der oberen Etage wurde von
Männern gleicher Gesinnung unter Anleitung eines ehemaligen schwedischen Offiziers, von Heß, fleißig
exerziert, während noch täglich französische Offiziere
unten im Bücherladen ein und aus gingen.
Hamburg
blieb ohne Regierung, aber alles hielt sich in Ruhe und Ordnung, und alle
genossen die Freude, die verhaßten Franzosen
los zu sein.
Unterdessen
rückte der General Tettenborn mit seinen Kosaken
heran. Am 17. März mittags wurde ich
von Friedrich Perthes nach Bergedorf ins Tettenbornsche Hauptquartier
gesandt, um Herrn von Heß, der dort weilte,
mündliche Nachrichten zu bringen und desgleichen von ihm wieder in Empfang zu
nehmen. Das Pferd, das ich zu
diesem Ritt von einem Bekannten erhalten hatte, ging
mir fast durch die Kosaken verloren. Abends
bei der Heimkehr strahlte schon von
ferne mir eine Beleuchtung des
Schweinemarktes entgegen: ein Pikett Kosaken war über den Deich zur
Stadt gekommen und da begeistert aufgenommen worden.
Am 18. März zog der General
Tettenborn feierlich unter allgemeinem Jubel
in die Stadt ein und erließ am 21. seinen Aufruf zur Bildung der
Hanseatischen Legion. Am Tage darauf meldeten Weber, Mauke und ich uns
vormittags zum Dienst als Freiwillige. Nachmittags wurde zuerst
auf dem Domplatz angetreten, und wir wurden der
ersten Kompagnie zugeteilt. Von da an
wurde täglich vor dem Dammtor exerziert.
Am 7. April fand der erste Ausmarsch statt, und zwar in die Vierlande; die erste Kompagnie kam nach Nettenburg in Quartier. Tags darauf wurde spät abends bei herrlichem Mondschein das Bataillon bei Kurslack zusammengezogen, um den Fahneneid zu leisten, der dem Kaiser von Rußland, als dem Beschützer der Hanseatischen Legion, geschworen wurde. Am 10. rückten wir nach Bergedorf, wo ich nachts Posten an dem alten Turm stand, und kehrten am 13. nach Hamburg zurück. Am 10. war Weber Feldwebel in der Jägerkompagnie geworden.
Am
14. April wurde in aller Frühe Generalmarsch geschlagen
und das Bataillon über die Elbe nach Harburg gesetzt. Ich
wurde zum Bataillonskommandanten von Stelling
kommandiert, um bei dem Sekretär Dienste zu leisten.
Am
18. wurde ich zum Sekondeleutnant und Quartiermeister
ernannt und auf die Zeit vom 19. bis 25. auf Kommando
nach Hamburg geschickt. Am 21.
fand die Fahnen- und Standartenweihe
in der großen Michaeliskirche
statt.
Inzwischen
war Vandamme mit größeren Streitkräften von Bremen aus vorgedrungen. Harburg wurde infolgedessen am 26.
April geräumt, und das Bataillon
wurde auf die Wilhelmsburg verlegt. Auf
der Südspitze der Insel, gerade
Harburg gegenüber, wurde eine Batterie errichtet. In
den folgenden Tagen wurden dann die ersten
Kanonenschüsse mit den Franzosen gewechselt.
In der Folgezeit zogen die
Franzosen immer mehr Truppen heran. In
der Nacht vom 8. auf den 9. überfielen
sie die Vorposten (lauenburgische Jäger) auf der Wilhelmsburg und drängten
sie bis zum Amtshaus zurück, wurden dann
aber lebhaft von unserem Bataillon angegriffen
und mußten die Insel unter bedeutenden Verlusten räumen. 27 französische
Offiziere waren gefallen oder gefangen; auch wir zählten viele Tote und
Verwundete. Ich suchte den alten Schlesinger,
dem der Schenkel zerschmettert war, in dem Hause der Veddel auf, wo die
Verwundeten den ersten Verband erhielten. Es
war ein grauenhafter Anblick; das Blut stand zollhoch in den Bauernstuben.
Am
11. und 12.
Mai wurde die Insel Wilhelmsburg auf
Tettenborns Befehl nach und nach geräumt und das ganze Bataillon mit einer
Kompagnie Bürgergarde in die auf der Veddel angelegten Verschanzungen gelegt.
Weber kam am 11. abends aus Hamburg
zurück, voll der trübsten Ahnungen
und in der traurigsten Stimmung. Er nötigte
mir seine Uhr und einige kleine Andenken, die er, bei sich trug, auf. Meine
Gegenvorstellungen, daß sie bei mir nicht
sicherer seien als bei ihm, wies er im bestimmten Vorgefühl seines Todes
zurück. Um 10 Uh
Das
Bataillon kampierte in den Schanzen. Ich
war im Stabsquartier in einer kleinen
Bauernstube gerade
Von
da an wurde auf dem Grasbrook biwakiert anfangs
unter freiem Himmel, dann in notdürftig aufgeschlagenen Bretterhütten.
Es wurden Schanzen aufgeworfen und
Batterien errichtet. Das gleiche taten
die Franzosen am jenseitigen Ufer auf
der Veddel; wir
mußten sehen, wie sie nach und nach
ihre Batterien armierten.
In
der Nacht vom 19. Mai begann die Beschießung der Stadt aus Mörsern und
Haubitzen womit allnächtlich fortgefahren
wurde. Sobald die ersten Schüsse
fielen - gewöhnlich gegen 9 Uhr ---
wurde in die Schanzen ausgerückt,
und wir hatten
dem Schauspiel der über unseren Köpfen in
hohen Bogen der Stadt zufliegenden Feuerkugeln
zuzusehen. Öfters schlugen aber auch welche nahe
bei uns oder vor uns in das Wasser ein,
und in der Regel wurden von den
einschlagenden Granaten unsere Bretterhütten
beschädigt, manchmal auch zertrümmert.
Von unserer Mannschaft wurden indessen
nur wenige verwundet. In der Stadt
entstand mehr als einmal Feuerlärm
durch das Brandschießen ohne daß aber eine wirkliche Feuersbrunst zum
Ausbruch kam.