Dorothea
Gartmann
1891 - 1961
1. Selbstportrait
Mit diesem Beitrag soll die Erinnerung an Dorothea Gartmann, eine außergewöhnliche Frau, wachgehalten werden, die schon fast in Vergessenheit geraten ist. Schwierig waren die Nachforschungen, dürftig die Auskünfte. Erhalten ist in großem Umfang ihr Lebenswerk, gemalte Kompositionen, in denen sie unter anderem auch die Veränderungen Wilhelmsburgs im letzten Jahrhundert dokumentierte. Diese Bilder sind Geschichte des Stadtteils.
Dorothea Gartmann stammt aus einer alten Wilhelmsburger Familie. Ihr Vater Fritz Ernst Christian Wolkau war Maschinenbauer und lebte mit seiner Frau Maria Dorothea Martha, geb. Wülfken am Ernst-August-Deich. Dem Ehepaar wurde am 4. Februar 1891 eine Tochter geboren und auf den Namen Dorothea Katharina Mary getauft. Die Familie lebte in bescheidenen finanziellen Verhältnissen, deshalb war es verständlich, dass Dorothea, als sie die Schule Fährstraße verließ, Geld verdienen musste. Da Malen eine Kunstfertigkeit war, die man bei ihr schon im Alter von 5 Jahren erkennen konnte, kam sie zur Ausbildung zum Postkartenmaler Witthoff in die Großen Bleichen.
2. Hamburger Hafen
Am 8.
Oktober 1910 heiratete sie in Wilhelmsburg den Elektromeister Franz August
Martin Gartmann, geboren am 28. Juni 1888 in Beeskow. Bald darauf kamen die Söhne
Franz (1911) und Friedrich (1912). Auch als die Söhne noch sehr klein waren,
malte Dorothea Gartmann. Auf diese Weise trug sie zum Unterhalt der Familie bei
und konnte ihrer Malleidenschaft nachgehen. In der Familie fand sie dafür keine
Anerkennung.
Nach Jahren des Streites und immer wiederkehrender Auseinandersetzungen trennte
sich das Ehepaar. Jetzt trug Dorothea Gartmann allein die Sorge um das
Wohlergehen ihrer Kinder. Dies und der Wille ihnen eine gute Schulausbildungen
zu ermöglichen, zwang sie zum Geldverdienen.
Eine Ausbildung an der Hochschule, um ihre Begabung zu vervollständigen, konnte
sie sich nicht leisten, nicht einmal einen Besuch in einem Museum. Ihre
Kunstmeisterin war die Natur mit ihren Farben und Formen. Hier kam sie dem Sinn
für Schönheit näher, hier lernte sie Perspektiven erkennen.
3. Wilhelmsburger Mühle
Über eintausend Aquarelle in zarten aber auch kontrastreichen Farben hat sie im Laufe ihres Lebens gemalt. Gleichzeitig nahm sie Aufträge für Ölgemälde entgegen. Den Wünschen der Auftraggeber folgend, hat sie nach Vorlagen oder Vorgaben gemalt. Blumengemälde, aber auch Heide- und Waldlandschaften sind dem damaligen Zeitgeschmack entsprechend entstanden. So hat sie auf Wunsch eines Kunsthändlers Hindenburg gemalt. Durch den Verkauf solcher Bilder, auch wenn der Verdienst gering war, konnte sie sich und ihre Kinder ernähren. Sie lebte aber ständig an der Armutsgrenze.
Trotz allem sind ihre positive Ausstrahlung und Freundlichkeit, ihre Beständigkeit und ihre Bereitschaft zu Kompromissen vielen Menschen in Erinnerung geblieben. Als ihr Sohn im Kriegsjahr 1942 nach abgeschlossener Schulausbildung und Studium eine Anstellung am Wilhelmgymnasium als Lehrer erhielt, bezahlte er für seine Mutter ein Semester bei Professor Zeschka an der Hamburger Hochschule für Bildende Künste. Viele Studien sind aus dieser Zeit noch vorhanden.
4. Wilhelmsburger Wasserburg
Dorothea Gartmann war eine besondere Frau. Als ihre Söhne in den Krieg mussten, ging sie aus Protest gegen diesen Krieg barfuß. Sie wollte erst wieder Strümpfe anziehen, wenn die Söhne zurückkommen. Friedrich kam nicht wieder. Er hinterließ eine Frau und eine kleine Tochter, die erst ein viertel Jahr nach seinem Tod geboren wurde.
Auch der Sohn Franz heiratete und bekam 1955 eine Tochter. Dorothea Gartmann liebte ihr Enkelkind Iris, die sich noch an die Geschichten, die die Großmutter erzählte, erinnert.
Die große Sehnsucht der Künstlerin war Italien. So oft ihre bescheidenen Verhältnisse es zuließen, fuhr sie nach Venedig, Chioggia, Rom, Neapel oder Taormina auf Sizilien, immer auf der Suche nach Motiven. Ganz andere, von großer Leichtigkeit getragene Bilder entstanden während dieser Zeit.
Ob es
Blumenmotive waren, Ansichten aus Wilhelmsburg oder Italien, immer hat sie
geschickt und spannungsreich Kompositionen mit ungewöhnlichen Perspektiven
aufgebaut und schöne ansprechende Bilder gemalt.
Ihre besondere Stärke waren Aquarelle. Landschaften und Blumen aus Wilhelmsburg
waren dabei ihre bevorzugten Motive. Dorothea Gartmann hat unserem Stadtteil,
den sie von seinen schönsten Seiten gemalt hat, ein unvergleichlich wertvolles
Denkmal gesetzt.
46 Jahre lebte sie in der Veringstraße 58 bis sie im Alter von 70 Jahren
verstarb, kurz nach ihrer letzten Ausstellung im Wilhelmsburger Rathaus.
Lange Jahre war sie vergessen. Erst durch einen großen Zufall konnte 1999 eine
Ausstellung mit Bildern aus Privatbesitz im Wilhelmsburger Bürgerhaus gezeigt
werden.
Der ebenfalls zufällig zustande gekommene Kontakt zur Enkelin ermöglichte den
Zugang zu einem Schatz, der jahrelang gut erhalten im Keller lag. Nach dem Tod
der Großmutter hatte der Sohn die Bilder sorgsam aufgehoben, nach seinem Tod
die Enkeltochter. Inzwischen sind 1216 Bilder aus diesem Nachlass mit Hilfe und
nach Vorgabe der Hochschule für Bildende Künste katalogisiert und
digitalisiert.
5. Wilhelmsburger Museum
Viele Geschichten und Anekdoten ranken sich um den Namen der Künstlerin, von Bratpfannen, die sie aus Ärger mit dem Hauswirt in der Hausflur malte, von Steuerberaterrechnungen, die sie mit Bildern beglich und die danach Hochzeitsgeschenke wurden, von fremden Bildern, die sie restaurierte wenn der Glaser beim Einrahmen Pech hatte und immer wieder von ihrer großen Armut, ihrer Klugheit und ihrer Freundlichkeit. Sorgen wir dafür, dass diese Künstlerin nicht vergessen wird!
Text von Ursula Falke
Abbildung 1. - 5. von Iris Dehning-Bargmann steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland Lizenz.