Wir haben heute den 17. Februar 1992,
es sind also 30 Jahre her, dass die große Sturmflut Hamburg und insbesondere Wilhelmsburg heimsuchte und das direkt vor meinen Augen und Ohren, kaum 500 Meter von der Stelle entfernt, am Spreehafendeich wohnend, wo die meisten Menschen damals ertranken.
Ich wohnte seit Dezember 1945 in Hamburg. Geboren am Mittelrhein im Landkreis Neuwied auf der Rheinanhöhe .
Der Spreehafendeich vor meinen Augen war für mich der "Zollzaun vom Freihafen". Den wertete ich nicht als Deich, waren doch auf ihm Kleingärten angelegt und es wohnten Menschen in kleinen Häusern darauf.
Nun kam also der 16./17. Februar 1962. Es hatte wohl eine Woche lang Sturm und Orkan gegeben. In verschiedenen Strassen meines Stadtteils waren ganze Dächer mit Ziegeln abgedeckt, so dass man sich nur in den ruhigen Abständen rauswagte um einzuholen.
Oben in der Küche, damals bewohnten wir noch die eine Mansarde als Küche, hörten wir abends von den "Vorsetzen" am Hafen Böllerschüsse, dass "Hochwasser" geschossen wurde. Ich sagte, die armen Leute, nun müssen sie wieder die Keller räumen. Der Orkan heulte und dauernd hörte man die Sirenen der Feuerwehr, da war wohl wieder ein Baum umgekippt. Fernsehen wollten wir nicht, Radio (batteriebetrieben) stellten wir nicht an. "Ach, lass uns zu Bett gehen". Es ist sonderbar, alle Leute, die ich nach dieser Nacht fragte, sagten, dass sie besonders fest geschlafen hätten. Unser Schlafzimmer war im Parterre und als es gegen 0:30 Uhr klingelte, fragten wir uns schlaftrunken, wer da sich noch so spät meldete. Es war ein Verwandter, der als Elektromeister bei Stülken auf der Werft die Laufkatzen warten musste, mit den Worten:" Mein Gott, ihr schlaft und vor Euch ersaufen die Leute wie die Ratten !? Welche Leute ?". In der Tür stehend war nur der Orkan zu hören und als wir 2 Schritte vortraten und um die Ecke hörten, da hörten wir Hunderte Leute aus den Kleingärten um Hilfe schreien. Wasser? Und woher? Vor uns konnten wir eben, schwach erhellt durch die Georg-Wilhelm Strasse den Ernst-August Kanal liegen sehen und der war so wie immer. Da wir vor dem Deich liegen, bekommen wir immer, wenn mal Wolkenbruch ist und am Köhlbrand-Pumpwerk, die nicht schnell genug abpumpen, Wasser ca. 40 cm hoch rein. Wir zogen uns also notdürftig an und mein Mann schaute nach, wie es dort aussah. Als sich draußen so dastand und auf die Startversuche achtete, da kreischte es plötzlich durchdringend- der Zollzaun auf dem Spreehafendeich war gebrochen und der Riesendurchbruch ganz in unserer Nähe war passiert. Im selben Moment brachen auch die 2 Seitentüren der Werkstatt und ein Schwall Wasser ergoss sich in den Keller und ich schrie meinem Mann zu, lass das sein und komm raus. Erst wusste ich ganz klar "das war ein Deichbruch!" Ich raste rauf und holte aus der Mansarde meine schlafende Tochter aus dem Bett, wickelte sie in eine Wolldecke und raste mit ihr runter, mit dem einzigen Gedanken "ich muss sie in den Wohnblock gegenüber bringen!"
Draußen, die paar Schritte zu Deich hochgehend, kam mir das Wasser, darin Pflastersteine, bis zu den Hüften gehend entgegen. Ich schrie meinen Schwager zu, mich festzuhalten und kam- die Straße war den Moment noch trocken rüber. Inzwischen war der Strom ausgefallen, es ging keine Klingel, zum Glück schaute eine Nachbar - ein ehemaliger Schiffer- zum Fenster raus. Reinkommend, flitzte ich mit meinem Kind auf dem Arm die 5 Stockwerke hoch- ich glaube, wenn es 10 gewesen wären, ich hätte auch dafür die Kraft gehabt. Auf mein Trommeln an der Tür öffneten mir die Nachbarn und ich legte Susanne erstmal dort ins Bett. Da Susanne gehörlos ist, konnte ich ihr in der Dunkelheit das schlecht klarmachen, weshalb wir da waren. Oben aus dem Fenster sah ich nun, dass von den vielen Häuschen, 3 lichterloh brannten. (war der Ofen umgekippt?). Ein Riesenfeuer brannte im Freihafen, die Gaswerke fackelten ab, wegen des Überdrucks. Der Orkan heulte, die vielen Menschen schrieen um ihr Leben, dazwischen polterten die vielen Fässer, die sich losgerissen hatten. Es war das Inferno!!
Heut' denk ich manchmal "du hättest das Bild für die Nachwelt erhalten können", ich hatte einen Logenplatz, um den mich jeder Reporter beneidet hätte. Ich hatte keine Kamera und Blitzlicht bereit. Den Tag danach machten wir viele Fotos- aber das Entsetzen ließ den Gedanken bei mir gleich wieder verschwinden. Auch am Tag, der 17. Februar, als die Bundeswehr mit Hubschraubern und Sturmbooten kam, um die Leute zu retten, brachte ich es nicht über mich, zu fotografieren.
In der Nacht war das Wasser bis zum Briefkasten auf der Strasse hoch. Wir selbst hatten das Wasser in der Wohnung 1,10 m das bewirkte, dass die Möbel angehoben wurden und umkippten. Die Werkstatt und die Garagen waren 3,30 m drin, nur der Kompressor in der Höhe blieb trocken.
Aber was war das alles, im Vergleich dazu, was die Menschen vor meinen Augen und Ohren an Grauen erlebt hatten. Am Tag, als das Wasser nur noch bis zu den Knien ging, kam ein Mann daher, ein Kind leblos auf dem Arm- tot oder halb erfroren, man fragte nicht. Oder die tote Frau, die aus den Gärten bis zu uns 3m von uns angeschwemmt worden war. Eins möchte ich doch noch bei allem erwähnen. man hatte sich vorher in so mancher Nacht über die so genannten "Halbstarken" geärgert, wenn sie draußen zu nachtschlafender Zeit Radau machten, aber eben diese Jungs waren es, die an dem Tag die angeschwemmten Fässer vertäuten, Bretter darauf befestigten und bei dem Orkan in halsbrecherischen Aktionen Menschen vor dem Tod retteten.
Die meisten Menschen waren in dieser Nacht hier ertrunken oder erfroren. Wir kannten viele dem Namen oder Ansehen nach. Da war das junge Mädchen, die bei uns an der Ecke mit dem Freund zur Disco war, mit ihm die paar Schritte nach Hause wollte und an dem Torweg überquerte, kurz vor der Wohnung, als die Flutwelle als reißender Strom sie mitriss und ertrank. Oder der Nachbar, der beinamputiert in einem Baum hing, während Frau, 2 Kinder und die Eltern ertranken.....
Es sind nun 30 Jahre her, seit dieses Grauenvolle geschah. Es ist vieles getan worden.... die Deiche wurden erhöht.... Viele sagen, es langt nicht. 1976 war wieder ein vergleichbarer Orkan. Als wir beim höchsten Flutstand zum Ernst-August Deich gingen, blieb uns das Herz beinahe stehen! War doch der neue, höhere Deich so, dass, wenn man sich hinsetzte, mit den Beinen schon im Wasser baumeln konnte! Zurückkommend fingen wir an, die tragbaren Sachen nach oben zu schleppen- immer Radio hörend- zuletzt verzweifelt- man konnte nicht mehr. Wir riefen die zuständigen Stellen an, die Pumpen am Köhlbrand waren bei diesem Wasserstand auch abgesoffen. Die ganze Nacht lösten wir uns stündlich ab mit Schöpfen, damit der Heizungsofen nicht abbuddelte . Endlich am Morgen sahen wir an der Garagenwand, dass das Wasser 1 cm gesunken war! Ein Glück! Das war aber der Moment, da der Deich in der Haseldorfer Marsch brach! Deren Unglück war unser Glück! Ein Gastwirt, den ich nachher darauf ansprach sagte, dass sie das Glück damals '62 gehabt hätten, als wir in Wilhelmsburg absoffen.
Seit dieser Zeit haben wir auch einen Kohleherd, wenn Strom ausfällt, kann man sich immer noch ein Süppchen machen und wärmen und ein Radio, batteriebetrieben, um die Meldungen zu hören.
Als Rheinländerin, nun schon seit Jahrzehnten hier integriert, ich liebe das Land, die Leute, den Sand den man immer wieder, trotz Brille, in die Augen bekommt und den Sturm, der soviel gute Luft mit sich bringt, möchte ich diesem, oft geprüften Wilhelmsburg wünschen, dass es sobald nicht wieder eine Katastrophe dieses Ausmaß bekommt.
Niedergeschrieben von O. Zirwes
Text von Olga Zirwes steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz.